Stadt, Land, Schluss?
Sachsen-Anhalt ist ein ländliches Bundesland. 75% der Bevölkerung leben im ländlichen Raum. Das spiegelt sich auch im Wahlverhalten wider.
Studenten zieht es in die Stadt; eine größere Bar- und Clubszene, eine insgesamt jüngere Bevölkerung und natürlich Hochschulen und Unis. Junge Eltern lockt es dagegen in die Vororte oder aufs Land; bezahlbareres Eigentum, die Nähe zur Natur und ruhiger, sicherer Verkehr. Das sich Stadt und Land unterscheiden, ist keine neue Erkenntnis und auch gut. Beides sollte seine Vor- und Nachteile haben, doch aktuell hat das Leben auf dem Land mehr Nachteile.
Das Land ist in vielen Punkten abgehängt. Viele Schüler hatten das letzte Jahre Schwierigkeiten am Online-Unterricht teilzunehmen, aber auch Schulen hatten mit technischen Problemen zu kämpfen; Grund ist der stockende Ausbau des Internets. Digitalisierung war nie die Stärke der Bundesrepublik, vor allem ländlichere Gegenden wirken teils wie abgeschottet vom restlichen Netz. Ende 2020 hatten nur 19,1 Prozent der Haushalte eine Internetleitung mit mindestens einem Gigabit pro Sekunde, damit ist Sachsen-Anhalt Schlusslicht im Vergleich zu den restlichen Bundesländern. Nicht nur digital hängt das Land hinterher, sondern auch bei der Mobilität wurde das Land zurückgelassen. Bus und Bahn sind für viele keine ernstzunehmende Alternative zum Auto. Es ist keine Besonderheit, wenn der Bus an der einzigen Haltestelle im Dorf nur alle paar Stunden vorbeikommt. Falls das Dorf eine Haltestelle hat.
Auch demographisch unterscheidet sich das Land von der Stadt. In den ländlichen Kreisen stieg das durchschnittliche Alter zwischen 1995 und 2017 von 39,5 auf 44,8 Jahre. Das durchschnittliche Alter in Sachsen-Anhalt stieg in der Zeit von 40,4 auf 47,6 Jahre. Es zieht die jungen Leute in die Großstädte Sachen-Anhalts, oder komplett aus dem Bundesland, während die Bevölkerung auf den Dörfern immer älter wird. Die zwei größten Städte Sachsen-Anhalts sind gleichzeitig auch die zwei jüngsten, Halle mit einem Durchschnittsalter von 44,4 Jahren und Magdeburg mit 45 Jahren. Natürlich gibt es da kleine bis große Unterschiede bei den politischen Interessen.
Stimmen in Großstädten* | Stimmen im Rest Sachsen-Anhalts | Gesamtergebnis | |
CDU | 27,3 % | 30,5 % | 29,8 % |
AfD | 19,1 % | 25,8 % | 24,3 % |
DIE LINKE | 18,2 % | 15,7 % | 16,3 % |
SPD | 11,6 % | 10,3 % | 10,6 % |
DIE GRÜNEN | 9,0 % | 3,9 % | 5,2 % |
FDP | 5,6 % | 4,6 % | 4,9 % |
Rest | 9,1 % | 8,9 % | 8,9 % |
Wahlbeteiligung | 70,7 % | 52,0 % | 61,1 % |
Totale Stimmen | 264 156 | 858 721 | 1.122.877 |
*Großstädte = Städte mit über 50.000 Einwohnern
Dies wird auch bestätigt, vergleicht man die Wahlergebnisse der letzten Landtagswahl aus 2016 zwischen den Großstädten und dem Rest Sachsen-Anhalts. Bei den Stimmenanteilen unterscheiden sich vor allem die Ergebnisse der AfD und der Grünen. Die AfD gewinnt, im Vergleich zur Stadt, auf dem Land über 6 Prozent an Stimmen dazu. Bündnis 90/Die Grünen verliert wiederum ganze 6,1 Prozent und das ausgerechnet im Grünen auf dem Land. Der größte Unterschied jedoch liegt in der Wahlbeteiligung. Während in den Großstädten knapp 70 Prozent der Wahlberechtigten den Gang zur Wahlurne antraten, machten dies gerade mal 52 Prozent in den restlichen Teilen Sachsen-Anhalts, etwa nur jeder zweite. Der Weg zum nächsten Wahllokal ist im Schnitt bestimmt etwas länger als in der Stadt, aber bestimmt nicht der Grund für diese niedrige Wahlbeteiligung.
Viele Leute außerhalb der Großstädte fühlen sich zurückgelassen. Zu oft dreht sich die Politik nur um die Stadt und ihre Einwohner. Mehr 30-Zonen, verbesserte Radwege oder Förderungen der Industriegebiete, die selten auf dem Land zu finden sind, alles politische Forderungen und Ziele die verständlich wenig Gehör auf dem Land finden. Die aktiven Wähler leben in der Stadt, nicht auf dem Dorf, dies kann definitiv einen Einfluss auf das Wahlprogramm und die öffentlich beworbenen Ziele der Parteien haben. Doch eine Regierung sollte nicht nur für ihre eigenen Wähler regieren, sondern zum Wohl der Gesamtbevölkerung handeln. Drei Viertel der Bürger leben im ländlichen Raum, eine Menge an Menschen, die in die Politik eingebunden werden muss.
Viele Parteien wollen das Land wieder besser an den Rest des Bundeslandes anschließen. Es werden Breitbandgarantien versprochen, das ÖPNV-Netz soll ausgebaut werden und Schulen finanziell mehr unterstützt werden. Doch zu oft wurden in der Vergangenheit Versprechen nicht eingehalten; Schulen hinken den digitalen Standards hinterher und in keinem anderen Bundesland fehlen so viele Lehrer wie in Sachsen-Anhalt. Eine Folge der Spar-Politik von vor knapp zehn Jahren, als man an Lehrkräften und dadurch auch an Geld sparen wollte. Rund 500 Lehrer fehlen Sachsen-Anhalt, doch Bewerber sind nicht in Sicht. Die Ausbildung zur Lehrkraft ist zu unattraktiv. Nur ein Punkt von vielen, der die Politikverdrossenheit verständlich macht.
Wie das Wahlverhalten und besonders die Wahlbeteiligung in den ländlichen Gebieten am kommenden Wahlsonntag sein wird, kann man schwer beurteilen. Das politische Interesse in der allgemeinen Bevölkerung ist auf jeden Fall im letzten Jahr gestiegen. Lange nicht mehr hatten politische Entscheidungen so einen drastischen Einfluss auf das alltägliche Leben, wie während der Coronakrise. Doch trägt Enttäuschung der Politik zu einer stärkeren Wahlbeteiligung bei? Der Regierung, der nächsten Legislaturperiode, muss es gelingen das Land und seine Bürger besser in ihr politisches Handeln zu integrieren, Versprechen werden keinen mehr überzeugen. Das Land muss digital und mobil besser an die Städte angebunden werden, das Leben außerhalb der Stadt wird nur attraktiver mit einer besseren Anbindung an die nächsten Supermärkte, Schulen, Krankenhäuser etc. und natürlich das Internet. Die ländlichen Gegenden Sachsen-Anhalts müssen in der Politik mehr an Gewicht gewinnen. Nur wenn man aufhört das Land wie das Stiefkind zu behandeln, kann das politische Engagement und der Wille zur Beteiligung an der Politik außerhalb der Stadt wieder geweckt werden.